Name der Künstlerin
Gauri Gill
Titel des Werks
Untitled (02), 2015. Aus der Serie „Acts of Ap­pear­ance“
Jahr
2015
Technik
Digitaler Pigmentdruck, Ed. 3/7 + 1AP
Material
Papier, Druck
Standort
Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg
Schenkung Freundeskreis Kunstmuseum Wolfsburg e. V.
Die Fotografien der Serie Acts of Ap­pear­ance schwanken zwischen Realität und Fiktion. Zu sehen sind Reisende im Zug, ein Gemischtwarenverkäufer mit Schlangenkopfmaske oder eine den Hof kehrende Frau mit Greifvogelmaskierung. Inspiriert wurde die Künstlerin Gauri Gill in ihren Bildern von der indischen Bohada-Prozession, einem dreitägigen Maskenfest indischer (Adivasi) Gesellschaften / Ethnien, an dem ganze Dörfer teilnehmen.

mehr erfahren
i
Abb. 1: Gauri Gill, Untitled (02), 2015
© Gauri Gill

Werkbeschreibung

In Untitled (02) aus dem Jahr 2015 sehen wir eine Frau, die auf einer Steintreppe am Eingang eines Hauses sitzt. Die Frau ist in einem traditionellen indischen Alltagsgewand gekleidet. Über dem Sari, dem Wickelrock mit Schulterüberwurf, trägt sie zwei Ketten, die das Traditionelle ihrer Kleidung betonen. Auf dem Kopf trägt sie eine Maske, die an einen bengalischen Tiger erinnert. Auf ihrem Schoß liegt eine große Decke, die in Handarbeit von ihr bearbeitet wird.

Das Haus schimmert leicht gelblich in der Sonne. Über der massivhölzernen Haustür hängen eine schmückende gehäkelte Borte und − aufgereiht auf einer Schnur − getrocknete Hülsenfrüchte oder Ähnliches. Gegen die Sonne schützen ein Vordach aus Drahtgeflecht und massive Holzstämme, die mit Schnüren zusammengehalten werden. In einer Astgabel eines stützenden Holzstammes steckt ein Paar Sandalen.

Gauri Gill widmet sich in Untitled (02) einer Alltagssituation einer Frau auf dem Land. Der persönliche Ausdruck der Frau bleibt durch die Tiger-Maske verborgen. Damit gelingt Gauri Gill ein spannender Übergang zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Was ist die Idee hinter Untitled (02) und was inspirierte Gauri Gill, die Serie Acts of Appearance zu entwickeln?

Inspiriert wurde Gauri Gill in der Serie Acts of Appearance von der indischen Bohada-Prozession. Bohada ist ein dreitägiges Maskenfest indischer (Adivasi) Gesellschaften / Ethnien im westindischen Bundesstaat Maharashtra. Bei dem Fest kommen ganze Dörfer zu einer rituellen Aufführung zusammen, bei der mythologische Szenen nachgespielt werden. Im Gegensatz zu den Bohada-Masken, die Götter, Dämonen und Nebenfiguren abbilden, arbeitet Gauri Gill mit Masken, die weltliche und alltägliche Motive darstellen, z. B. Menschen, Tiere oder Haushaltsgegenstände.

Für die Herstellung der Masken arbeitetet Gauri Gill mit anerkannten Pappmaché-Künstler*innen der indischen Gesellschaften / Ethnien Kokna und Warli zusammen. Die Serie Acts of Appearance entstand in einem ihrer Dörfer im Bezirk Jawhar. Dieser Bezirk gilt als einer der ärmsten Bezirke in Maharashtra. Die Fotografien spiegeln das tägliche Leben der Dorfbewohner*innen wider. Sie erzählen von ihrer Klassenzugehörigkeit und der Sorge ums Überleben − aber auch von Vergnügen, Hoffnungen und Träumen. Der Titel Acts of Appearance lautet übersetzt „Akt der Erscheinung“ oder auch „Erscheinungshandlung“. Die Masken sind in Gauri Gills Fotografien so gesehen auch ein Mittel um das Leben und den Alltag der Gemeinschaften auf besondere Weise sichtbar zu machen, ihnen − ohne ein Wort zu sagen − eine Stimme zu verleihen.

Für die Serie Acts of Appearance verbrachte Gauri Gill sehr viel Zeit mit der Gemeinschaft. Es war ihr sehr wichtig, erst einmal ihr Vertrauen zu gewinnen, zu beobachten und zu verstehen. Als Gauri Gill sich zum ersten Mal in größerer Runde mit den beteiligten Pappmaché-Künstler*innen traf, sprach sie sich dafür aus, nicht nur beliebte Tiere, wie beispielsweise den Tiger und den Elefanten einzubeziehen, sondern auch die Ameise, die Eidechse, die Mücke oder andere Tiere, mit denen sie alltäglich Kontakt haben. Später wurden dann Objekte in das Projekt aufgenommen, da von ihnen angenommen wird, dass sie ebenfalls empfindungsfähig sind. Eine Uhr zum Beispiel oder eine Wasserflasche oder ein Fernseher.