Wähle eine Fotografie von Cindy Sherman aus:
Untitled Film Still, 1977, Gelatin silver print
Untitled Film Still, 1978, Gelatin silver print
Untitled Film Still, 1979, Gelatin silver print
i
Cindy Sherman, Untitled Film Still, 1977, Gelatin silver print
© Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth
Der Ort des Geschehens
1/15 Die spartanische Einrichtung und die kargen Wände des Badezimmers machen einen anonymen Eindruck.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
2/15 Das dunkle Spiegelbild erzeugt eine düstere Atmosphäre.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
3/15 Das Waschbecken und die Zahnbürsten sind ein Indiz dafür, dass die Szene in einem Hotelzimmer spielt.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
4/15 Der Bubikopf und die Schminke der Frau lassen die Szene in den 50er-Jahren verorten.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor dem Spiegel
5/15 Die Pose der Frau wirkt selbstverliebt und ichbezogen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor dem Spiegel
6/15 Mit der Hand weist die Frau auf ein besonderes Körpermerkmal hin.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor dem Spiegel
7/15 Der Augenaufschlag der Frau wirkt gekonnt und erweckt den Eindruck, als wolle sie einen Mann verführen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor dem Spiegel
8/15 Das Badetuch ist ihr Kostüm für spezielle Auftritte.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Spiegel
9/15 Der Spiegel verrät den Narzissmus der Frau.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Spiegel
10/15 Dem Spiegelbild nach zu urteilen, scheint die Frau eine Zwiesprache mit sich selbst zu führen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Spiegel
11/15 Der Spiegel eröffnet das komplexe Themenfeld „Ich ist ein Anderer“.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Spiegel
12/15 Der gedehnten Körperhaltung nach zu urteilen, scheint die Frau im Spiegelbild nach etwas an ihrem Körper zu suchen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
13/15 Der Mülleimer mit Papier weist auf eine vorausgegangene Szene hin.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
14/15 Das spartanische Badezimmer lässt die Frau von einer glanzvolleren Welt träumen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
15/15 Mit dem Blick in den Spiegel kommen alte Erinnerungen hoch.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
i
Cindy Sherman, Untitled Film Still, 1978, Gelatin silver print
© Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth
Der Ort des Geschehens
1/16 Der Sonnenstand verrät, dass es Morgen ist.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
2/16 Gartenzaun, Büsche und Sträucher deuten eine typische Vorstadtidylle an.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
3/16 Die Zierrate an der Tür lassen auf eine bürgerliche Villa schließen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
4/16 Die Kleidung der Frau lässt die Szene in den 60er-Jahren verorten.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor der Tür
5/16 Das Backsteinhaus und die kargen Büsche des Vorgartens lassen die Frau von einer glanzvolleren Welt träumen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor der Tür
6/16 Der abwesende Blick der Frau legt die Annahme nahe, dass sie mit ihren Gedanken woanders ist.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor der Tür
7/16 Der eilige Schritt erweckt den Eindruck, dass sie das Haus überstürzt verlassen hat.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin vor der Tür
8/16 Die Perücke und das Kopftuch lassen vermuten, dass die Frau ihre wahre Identität verbirgt.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Kleidung der Protagonistin
9/16 Die hohen Schuhe machen das Outfit elegant.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Kleidung der Protagonistin
10/16 Die ausgewählte Kleidung lässt vermuten, dass die Frau auf dem Weg zu einer Verabredung ist.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Kleidung der Protagonistin
11/16 Bei der Henkeltasche handelt es sich um einen klassischen Arztkoffer.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Kleidung der Protagonistin
12/16 Dem ganzen Erscheinungsbild nach verkörpert die Frau den amerikanischen Traum.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
13/16 Der Blick zur linken Seite lässt auf eine Szene außerhalb des Bildes schließen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
14/16 Die Inszenierung der Frau steht symbolisch für einen Übergang; vor ihr liegt ein neues Leben.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
15/16 Was vor ihr liegt, ist nicht so interessant wie das, was sich im Haus abspielt.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Vor dem Bild ist hinter dem Bild
16/16 Ihre Eile macht sie anfällig für Fehler.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
i
Cindy Sherman, Untitled Film Still, 1979, Gelatin silver print
© Cindy Sherman, Courtesy the artist and Hauser & Wirth
Der Ort des Geschehens
1/16 Das sanfte Licht gibt eine Morgenstimmung wieder.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
2/16 Der gehäkelte Bettvorleger und das Foto auf dem Nachttisch sind ein Indiz dafür, dass die Szene in der Wohnung der Protagonistin spielt.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
3/16 Die Atmosphäre des Raumes deutet auf eine kriminelle Handlung hin.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Ort des Geschehens
4/16 Die Pose der Frau lässt auf eine filmische Inszenierung schließen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin auf dem Bett
5/16 Die Haltung der Frau zeigt Entschlossenheit.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin auf dem Bett
6/16 Die Kleidung der Frau unterstreicht ihre Rolle als Haus- und Ehefrau.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Die Protagonistin auf dem Bett
7/16 Die Frisur der Frau lässt auf eine Perücke schließen.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Brief auf dem Bett
8/16 Die Länge des Briefes deutet eine innige Brieffreundschaft an.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Brief auf dem Bett
9/16 Der distanzierte Blick der Frau zeigt, dass es sich um einen Abschiedsbrief handelt.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Brief auf dem Bett
10/16 Die Position des Briefes an der Bettkante verrät, dass die Frau den Brief nicht zum ersten Mal liest.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Das Foto auf dem Nachttisch
11/16 Das gerahmte Bild verweist auf eine verehrte Person.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Das Foto auf dem Nachttisch
12/16 Die Position des Bilds auf dem Nachttisch ist ein Zeichen dafür, dass die fotografierte Person verstorben ist.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Das Foto auf dem Nachttisch
13/16 Die Person auf dem Bild vermittelt den Eindruck eines heimlichen Beobachters.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Vorhang im Bildhintergrund
14/16 Der Vorhang macht den Raum noch interessanter; man will wissen, was dahinter ist.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Vorhang im Bildhintergrund
15/16 Der Schatten hinter dem Vorhang deutet auf eine geheimnisvolle Person hin.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu
Der Vorhang im Bildhintergrund
16/16 Der Vorhang unterstreicht die wohnliche Atmosphäre des Raumes.
Ich stimme zu
Neutral
Ich stimme nicht zu

Geschichte A

‚Und wenn der Leberfleck das Einzige ist, was mich noch ich sein lässt?‘ – Lucy starrt ihr Spiegelbild an wie einen fremden Körper, dem man am Hals einen braunen Punkt aufgemalt hat. Seit dem Anruf vom Amt ist nichts mehr wie zuvor. Seit einer Woche weiß sie jetzt, dass sie eine Zwillingsschwester hat, Abigail, die als Baby genauso adoptiert worden ist wie sie. Nur von einer anderen Familie. Greg hat das Ganze erst für einen Scherz gehalten. Lucy nicht. Sie ist in die Stadt gefahren und hat sich Kleider gekauft, vor allem solche, die sie gar nicht mochte – aus Angst, die anderen könnte auch Abigail gekauft haben. Der Abfalleimer quillt über von dem Seidenpapier, in das die ganzen neuen Ichs aus der Boutique eingeschlagen waren. ‚Wer soll ich jetzt sein, wenn sie doch schon ich ist?‘ – Ja, und drei Tage später ist dann der Brief gekommen. Von Abigail. Mit der Bitte, sie heute im Parkcafé zu treffen. Und einem Foto, das Lucy nicht angeschaut hat. Sie hat auch nicht die genannte Nummer gewählt, nur zurückgeschrieben und den Termin bestätigt. Aber die Idee, in den Park zu gehen und sich dort selbst zu begegnen, nein, das klingt schon sehr nach Gruselfilm. ‚Ob sie die Haare genauso hat wie ich?‘ – Ein Blinzeln noch im Spiegelglas, dann hält sie es nicht mehr aus. Sie wirbelt herum, läuft ins Wohnzimmer. Der Brief liegt ganz hinten in der untersten Schublade. Lucy ertastet ihn mit zitternden Fingern, zieht ihn heraus, fühlt die Beschichtung des Fotos, das sie gleich anstarren wird wie ein Spiegelbild, und …, und ……… Der Beamte hat ihr alles gesagt. Dass sie Zwillinge sind. Dass beide adoptiert wurden. Nur das Wörtchen „zweieiig“, das muss er wohl vergessen haben.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte B

Bestimmt wartet er schon. Es ist doch immer das Gleiche. Leslie möchte einmal erleben, dass sie eine Anstellung bekommt, ohne dass der Chef mehr von ihr will. „Geschäftsreise“ – sehr witzig! Das Wort kennt sie bis zum Abwinken von Mr. Porter und Mr. Paxton. Sie hat ja echt geglaubt, dieser Alvin Silverman sei anders. Seriös, rücksichtsvoll, glücklich verheiratet. Sie hätte es wissen müssen. Ihre ersten zwei Jobs hat sie durchgezogen, bis sie nicht mehr konnte. Aber sie muss doch arbeiten! Geld für ihre Mutter verdienen, die sich am Fließband den Rücken kaputtmacht. Deshalb schaut Leslie jetzt in den Spiegel eines düsteren Südstaaten-Hotels, wo noch die Zahnbürsten der letzten Gäste auf dem Waschbecken stehen, und probt die Augenaufschläge, die solche Kerle zum Kochen bringen. Mr. Silvermans Zimmer liegt genau gegenüber. Sie muss es nur unbemerkt über den Flur schaffen. Das wäre wichtig, weil sie nämlich mit nichts als einem Badetuch bekleidet ist, dem Kostüm für spezielle Auftritte. Sie atmet ein und atmet aus. (‚Okay, Leslie. Es geht los.‘) – Alvin sitzt in seinem Hotelzimmer und wartet auf Miss Baker. Bevor morgen die Konferenz beginnt, muss er mit ihr noch einen Berg Papiere durcharbeiten. Aber sie ist ja so tüchtig; es wird schon klappen. Sie ist die Einzige, die beim Probetippen auf der Schreibmaschine mehr als fünfhundert Anschläge pro Minute geschafft hat. Er musste sie einfach engagieren. Auch wenn es ihm fast peinlich ist, sich mit einer so jungen Frau in der Öffentlichkeit zu zeigen. Aber Mensch, er kann sie doch nicht ablehnen, nur weil sie jung und schön ist! Sie ist hervorragend, darauf kommt es an. – Es klopft an der Tür. Das wird sie sein.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte C

„Es ist eine Schande! Weißt du, ich hab immer an die Justiz dieses Landes geglaubt. An Freiheit und Gerechtigkeit!“ Während Lily sich am Spiegel des winzigen Bads auf Falten abcheckt, spricht sie durch die offene Tür mit ihrer Freundin Samantha, die heute eine Besuchserlaubnis bekommen hat. „Aber jetzt? Schau mich an! Ich bin immer noch hübsch, findest du nicht? Die besten Jahre meines Lebens sitz ich in dieser … dieser Anstalt fest, nur weil dieser Richter sich getäuscht hat!“ Der Spiegel ist unverrückbar an die Wand geklebt und soll aus bruchsicherem Glas bestehen, damit sie keine Scherben als Waffe verwenden kann. „Ich mein’: Du und ich, wir wissen, dass ich unschuldig bin! Du weißt es doch, oder??“ So wütend sie ist – sie darf nicht das Gesicht verzerren. Wenn sie hier raus ist, will sie noch hübsch genug sein, um Mutter zu werden. „Komm schon, Sam! Die eine Spritztour mit dem Coupé … Hab ich dir das schon erzählt? Ich … ich war so jung; sowas macht doch jeder in dem Alter!“ Schweigen. Aber Sam muss sie noch mögen, sonst würde sie nicht ständig bei ihr reinschneien – so oft, dass sie hier schon ihre eigene Zahnbürste hat. Und ein eigenes Badetuch, für den Fall, dass sie mal duschen will. „Und … und das Feuer, ja gut, aber in dem Haus hat ein Geist gewohnt. Ein echter Geist, hab ich dir das erzählt? Ich musste es anzünden; was kann ich dafür, dass ich dauernd in solche Situationen gerate? Genau wie damals mit dem Landstreicher! Es war Notwehr, was sollte ich machen?“ Lily verlässt das Bad, um sich aufs Bett zu setzen. „Aber genug gejammert! Wie geht es dir? Schön, dass du mich besuchst.“ Ihr charmantestes Lächeln fliegt durch das leere Zimmer.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte D

Nein, aber … was kann sie tun? – Laurie sitzt auf einer Bank im menschenleeren Museum, direkt vor ihrer eigenen Wachsfigur. Mit einem perversen Sinn für Realismus hat man das Ding in die Kulisse eines nachgebauten Badezimmers gestellt. Jetzt steht es da, bekleidet nur mit einem Frotteetuch, und schaut in den Spiegel. Als würde es sich gleich bewegen, blinzeln, atmen; stattdessen ist es für immer in dieser Was-bin-ich-nicht-schön-Geste erstarrt. Laurie fühlt das Holz der Bank unter ihren Fingern feucht werden. Noch ist das Museum nicht geöffnet; noch bevölkern nur Wachsfiguren den Raum: die Beatles, John Wayne, Jackie Kennedy. Es ist eine ungeheure Ehre, dass der Direktor entschieden hat, Laurie mit in diese Reihe aufzunehmen. Und klar, das Badezimmer soll an ihren größten Hit erinnern. Tausende, Zehntausende haben gejubelt, wenn sie anfing, den Song zu trällern – vom Mädchen, das sich ausgehfertig macht, das raus will aus dem miefigen Studentinnenheim und rein in die Großstadt. Was liegt da näher, als sie genau in dieser Rolle ins Museum zu stellen? – Aber mal ernsthaft: Weder die Beatles noch Mrs. Kennedy müssen als Wachsfiguren im Badetuch auftreten! Alle haben sie echte Klamotten an, und niemand von denen glotzt selbstverliebt in den Spiegel! Laurie will das nicht. Was wird sie tun? Mit Mike reden, ihrem Manager, der im Büro des Direktors Kaffee trinkt? Sinnlos. Sie hat auch keine Lust mehr auf den Song, den sie gleich fürs Publikum trällern soll, wenn die Museumstüren aufgehen. Gleich wird man sie holen, wird sie anlächeln und auf die Bühne zerren, zur großen Eröffnung – und Laurie? Sitzt starr auf der Bank, wie unter einer Wachsschicht gefangen.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte E

Geschichte E

Es ist fast nichts mehr zu erkennen. Sie muss sich schon dem Licht zudrehen und ganz genau hinschauen, dann sieht sie noch die Stelle, wo der Brocken sie getroffen hat. Ein Stück rau vernarbter Haut direkt unter dem Halsansatz, das im Spiegel wirkt wie ein Gebirge im Miniaturformat. Die Ärzte sagten damals, Louise könne froh sein, überlebt zu haben. Jake, extra angereist, saß tagelang an ihrem Bett im Krankenhaus, während sie an den Schläuchen hing und ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte. Weil die ganze Expedition ihretwegen abgebrochen worden war, ohne Gipfel, ohne Glück. – Erst hatte man sie gar nicht mitnehmen wollen. Sie hatte um ihre Teilnahme gekämpft, hatte Briefe geschrieben, telefoniert und auf ihre alpinistischen Erfolge verwiesen: Yosemite, Mount Rainier, et cetera, et cetera. Und als sie dann dabei war …, kracht plötzlich dieser absurde Eisbrocken aus der Wand! Er hätte jeden treffen können. Aber nein, er trifft sie und beschert ihr einen Helikopterflug durch halb Alaska. Das schlechte Gewissen blieb, groß und schwer wie das Krankenhaus von Anchorage. – Bis zu dem Moment, als die Nachricht kam: Am Tag ihres Unfalls, nur wenige Stunden später, hatte es eine riesige Lawine gegeben. Fast vom Gipfel bis ins Tal. Ohne den Eisblock, ohne sie, wäre keiner mehr von der Expedition zurückgekehrt. – Louise dreht sich vom Spiegel weg und geht nach nebenan ins Wohnzimmer. Sie haben ihr angeboten, dieses Jahr wieder mit dabei zu sein. Weil sie ihnen Glück bringt. Jake hat gesagt: Du wirst dich entscheiden müssen – die Berge oder ich. Und das Ticket auf dem Sofatisch sagt: Anchorage, Alaska. Nonstop. 7.7., 9.34 Uhr.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D

Geschichte A

Und jetzt ist es soweit: Doreen zieht zu ihrem Verlobten. Vor ihr, noch unsichtbar, liegt ein Leben voller Wunder. Sie muss nur darin eintreten. Durch den Vorgarten der elterlichen Villa eilt sie der Straße, der Zukunft entgegen – vorbei an den Sträuchern, in denen sie als kleines Kind so gern Verstecken gespielt hat. Oft zusammen mit Puppe Cheryl, die gerade ebenfalls das Haus verlässt, tief verborgen in Doreens Handtasche. Die letzten acht Monate sind echt hart gewesen. Wenn der eigene Verlobte in Vietnam ist, zwischen Dschungelbäumen und pfeifenden Gewehrkugeln … Es gibt einfach kein Rezept, wie man solche acht Monate überstehen soll, ohne laut loszuschreien und nie mehr aufzuhören! Aber seit Montag ist Gordon ja wieder zurück und alles wird anders werden. Was macht es da schon aus, dass sie ihn erst gesund kriegen muss? Er braucht sie jetzt; das ist gut so. Was macht es da schon, dass niemand in der Villa hinter ihr von der Verlobung weiß? Dass sie alle Angst allein ertragen hat, weil Gordon nun mal nicht ins elterliche Weltbild passt … Doreen wird glücklich sein; etwas anderes lässt sie gar nicht zu. Was also macht es aus, dass niemand hier ahnt, was sie vorhat? Drei Tage lang hat sie Koffer und Reisetaschen aus dem Haus geschmuggelt, vollgestopft mit ihren Kleidern. Auch Puppe Cheryl geht klammheimlich. Im Regal bleibt eine Lücke, die auffallen wird – aber was soll’s: Es wird neue Regale geben, mit Lücken, die sie füllen kann! Was macht es da schon aus, dass Doreen in diesem Augenblick nicht weiß …, ob sie den Ort ihrer Kindheit jemals wiedersieht? Sie tritt hinaus auf die Straße. Was immer sie zurücklässt: Vor ihr liegt das Happy End.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte B

Sie hat lang genug vor dem Spiegel geprobt. Etwas von der Verantwortung, der Würde ihres Berufs muss jederzeit erkennbar sein. Auch wenn sie gerade außer Dienst ist, ohne Uniform, ohne Abzeichen: Man muss etwas spüren, muss eine Ahnung bekommen, dass sie schon in wenigen Stunden über den Wolken sein wird: in einer Sieben-null-sieben-Dreihundert auf dem Sprung über den Atlantik; Zielflughafen Paris, später Kairo. Sie verkörpert den Traum, so wie sie zu sein. Passendes Auftreten ist Ehrensache. Sie ist es nicht nur der Airline schuldig, sondern auch jedem Mädchen, das in den Sixties zur Frau wird. – Donna geht aus dem Haus und tritt auf die Straße. Die Arbeit ruft. – Der Film in ihrem Kopf zeigt sie als Teenager, von den Eltern ausgelacht, weil sie sagt, sie will Pilotin werden. Dann: sie als Kadettin, eingekeilt zwischen dreihundert Kadetten, von denen viele glauben, eine Frau sei mental unfähig, ein großes Passagierflugzeug zu steuern. Sie ist dankbar für die Freunde, die sie gefunden hat. Den stillen Pete, der immer nur den Kopf geschüttelt und ihr zugezwinkert hat, so nach dem Motto: „Lass die reden und zieh’s durch!“ Den langen Ron, der sich einmal fast für sie geprügelt hätte. – Sie geht an den Häusern des Blocks vorbei: Donna McFarlane, erste Boeing-Pilotin der amerikanischen Luftfahrtgeschichte. Ein ganzes Jahr jünger als der jüngste ihrer männlichen Kollegen. – An der Burke Street biegt sie rechts ab. Sie überquert den großen Parkplatz und erreicht den Supermarkt, der noch nicht geöffnet hat. – Aus dem Lagereingang funkeln sie vorwurfsvolle Augen an: „Donna, da sind Sie ja endlich! Los, umziehen, Obst auffüllen und ab an Kasse drei!“
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte C

Nur noch ein Millimoment. Die Zeit, die ein aufschlagender Wassertropfen braucht, um platt zu werden. Dann wird die Tür sich vollständig geschlossen haben. („Klack.“) Dorothy ist draußen, auf dem Weg zu ihrem Auto. Noch kann sie aus dem Innern des Hauses die Stimme der werdenden Mutter hören, Jane, die sich die Wehen aus dem Körper schreit. Noch liegt in der Ferne kein Sirenengeheul in der Luft. – Als Janes Anruf kam, ist Dorothy gleich losgefahren. Sie ist im Haus die Treppe hoch und hat sofort erkannt: Es ist ernst; das Baby kommt! Ganze drei Wochen zu früh. Sie hat gesagt, was Hebammen in solchen Fällen eben sagen: „Keine Panik. Wir brauchen jetzt den Krankenwagen; der wird gleich hier sein.“ Das Telefon steht auf dem Nachttisch; von dort hat sie Alarm gegeben, während Jane auf dem Bett lag, unbeweglich und … genau, und dann hat Dorothy beschlossen, dass sie alles vorbereiten muss: Was, wenn das Kind noch vor den Sanitätern kommt? Mit ihrem Hebammentäschchen kann sie da nichts ausrichten. Sie braucht das Notfallset aus dem Kofferraum, was der Grund ist, wieso sie jetzt zum Auto läuft, hinter ihr die Haustür, die sich gleich schließen wird. Dieselbe Tür, die sie vor drei Minuten erst geöffnet hat, mit dem Schlüssel, den sie bekam, als sie Janes Hebamme wurde. Eine schöne Tür, New England Style. Dahinter die Garderobe, das Sideboard; eine Treppe höher das Telefon und die stöhnende Frau, die auf sie wartet. Gleich wird es klack machen; die Tür eine Barriere zwischen ihr und dem … dem Sideboard(!!) … – und das wird der Moment sein, wenn Dorothy weiß: Sie ist draußen und der Schlüssel liegt drin.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte D

„Nein, Officer, wenn Sie mich so fragen … Das Gesicht ist … ziemlich verschwommen. Ich weiß noch, die hatte so ein Tuch auf den Haaren, das war so … gemustert. Und Beine hatte die, also ich sag Ihnen: weiße Beine bis runter nach China! Also wenn Sie mich fragen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die was mit dem Einbruch zu tun hat.“ – 7.7.1965, 9.34 Uhr. Eine junge Einbrecherin namens Daisy ist damit beschäftigt, ein Vororthaus bei Boston zu durchwühlen. Es beruhigt sie irgendwie, wenn sie sich bei der Arbeit das hilflose Gestammel möglicher Zeugen vorstellt. Bestimmt wäre sie heute Sekretärin oder Grundschullehrerin, wenn sie nicht so komplett aus allen Täterprofilen rausfallen würde. Niemand traut einer eleganten jungen Weißen zu, kaltblütig in fremde Wohnungen einzudringen, durch die Vordertür, und erst wieder zu gehen, wenn sie alles besichtigt hat. Sie liebt die Klischees, weil sie so nützlich sind; genau wie geregelte Tagesabläufe: Um halb zehn Uhr morgens sind die Vororte aller Städte praktisch leergefegt. Männer in der Firma, Kinder in der Schule und die braven Hausfrauen beim Großeinkauf. Daisy grinst und lässt den Inhalt einer Schmuckschatulle in ihre Tasche gleiten. Ka-tsching! – Als sie fertig ist, hat ihr Handgepäck ordentlich Übergewicht. Mit festen Schritten geht sie zur Tür und tritt hinaus auf die Straße. Da rechts steht auch schon ihr Auto – ein Auto, wie es alle in dieser Gegend haben. Aus den Augenwinkeln sieht sie eine ferne Gestalt auf dem Gehweg, die langsam näherkommt. Na schön, im schlimmsten Fall ein Zeuge. Wird harmlos sein. Nur ein Kerl, der später sagen wird: „Nein, Officer, wenn Sie mich so fragen …“
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte E

Geschichte E

Ein Beobachter von Debra, wie sie morgens das Haus verlässt, würde sie nie für das halten, was sie ist: eine der berühmtesten Künstlerinnen der Welt. Eilig zieht sie die Tür ins Schloss und stöckelt auf den Gehweg – über der Perücke ein helles Tuch, in der Hand eine Tasche, in der eine Schürze, bequeme Schuhe und ein Pausenbrot warten. Keiner in der Nachbarschaft würde ahnen, dass Debra auf allen Kontinenten Bankpaläste kauft. Am liebsten ganz neue, in denen noch nie jemand gearbeitet hat. Den Banken macht sie Angebote, die sie nicht ablehnen können. Wenn die Gebäude dann erst mal ihr gehören, lässt sie die Bulldozer anrollen und erzeugt malerische Ruinen. Außen herum kommt ein Zaun, und alle dürfen zuschauen, wie sich Gräser, Büsche und Bäume das Grundstück Schritt für Schritt zurückerobern. – Wer Debra folgen würde, könnte sehen, wie sie in den Bus steigt und quer durch die Stadt bis zum Waldrand fährt – davor ein Gelände mit Beeten und Gewächshäusern. Sie ist noch nie gern in der Öffentlichkeit gestanden. Kaum jemand kennt ihr Gesicht. Und seit sie von einem durchgeknallten Finanzberater Morddrohungen erhalten hat, arbeitet sie hier als Angestellte einer Gärtnerei. Die Auszeit tut ihr gut. Sie schaut den Blumen beim Wachsen zu. Kann ein ganz normaler Mensch sein. Sie ist sogar mit jemand ausgegangen, er heißt Steven. Sie haben sich kennen- und schätzen gelernt und sind seit April zusammen. Nur: Wie soll sie Steven erklären, dass die Gärtnerin an seiner Seite gar nicht existiert?? – Montagmorgen. Gedankenvoll verlässt Debra das Haus. Wenn sie sich dabei zusehen könnte – sie wäre selbst überrascht, mit wem sie es da eigentlich zu tun hat.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D

Geschichte A

Was Melissa weiß: Vor sechs Tagen ist ihr Vater erschossen worden. Auf offener Straße. Jetzt ist sie allein. Captain Fowler von der Polizei sagt, auch sie schwebt in Gefahr. Weil sie zur Familie gehört. Captain Fowler sagt, am sichersten ist sie zu Hause, wo man eine Streife vor der Tür postieren kann. Aber da erdrücken sie die Wände. Deshalb reist sie zu ihrem alten Schulfreund Tony nach Seattle, der ihr neulich erst wieder einen langen Brief geschrieben hat. Tony ist Polizeichef und kann ihr bestimmt helfen. Dumm nur, dass er glaubt, sie sei inzwischen Dolmetscherin, mit Kontakten in höchste politische Kreise. Denn das ist es, was sie in Briefen an ihn behauptet. Sie hätte ihn gern angerufen, hat aber keine Nummer. Die Nacht hat sie in einem Motel verbracht, mit einem Foto ihres Vaters und Tonys handgeschriebenen Worten, hinter denen ein leichteres Leben schwebt. Heute ist Sonntag; sie hofft, dass er zu Hause ist. Sie malt sich aus, wie sie bei ihm klingelt, nach fünfzehn Jahren, und hat keine Ahnung, was er sagen wird. – Was Melissa nicht weiß: Hinter dem Vorhang im Motelzimmer steht ein Killer. Er ist lautlos reingekommen, als sie im Bad war, und hätte geglaubt, dass sie ihn gleich entdeckt, denn der Vorhang ist ziemlich dünn. Aber das hat sie nicht getan. Er weiß nicht, wer die Frau ist. Nur dass er auch schon ihren Vater umgelegt hat. Sie haben sich an sie drangehängt, bis sie hier abgestiegen ist, und ihn dann verständigt. Die Pistole zittert kaum in seinen Händen. Er zielt, hört Schritte im Gang, wartet und … und sieht auf dem Bett den Brief liegen. Seinen Brief. In dem er von einem Leben als Polizeichef erzählt. Dem Leben, das er als Schüler immer haben wollte.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte B

Die Aufregung hat Madeline nicht schlafen lassen. Seit drei in der Nacht ist sie wach gewesen, ist durch das Pensionszimmer getigert, von einer Wand zur nächsten, und hat nach Worten gesucht – beobachtet von Brians altem Foto, das sie im letzten Moment noch eingepackt hat. Jetzt liegt der Brief fertig vor ihr, darauf die Anschrift der Polizei von Philadelphia, während draußen die Morgensonne scheint und Vögel zwitschern. Zu Brian hat sie gesagt, sie fährt übers Wochenende zu einer Freundin. Und er hat ihr geglaubt. Ganz sicher. Er glaubt ja auch, sie hätte keine Ahnung! Wüsste nichts von seinen Betrügereien, mit denen er die Leute um ihre Ersparnisse bringt. Madeline hat ihm viel zu lang zugeschaut. Hat mitbekommen, wie er seine Opfer ruiniert, Singles, Familien, alte Heimbewohner; ein Bankrott nach dem andern. Er wird nicht aufhören. Nicht für sie. Selbst wenn sie ihm drohen würde, wenn sie jetzt sofort zur nächsten Telefonzelle ginge („Ich weiß alles! Ich zeig dich an!“): Würde er sie überhaupt ernst nehmen? Wenn ja, umso schlimmer. Er wär doch sofort unten in Rio und keiner würde das Geld je wiedersehen. – Nein, es gibt nur einen Weg. Und der liegt vor ihr, bestehend aus Papier und Tinte, mit der Anschrift der Polizei darauf. – Sie … sie will nicht mehr an vorgestern denken. Er hat ihr Rosen mitgebracht und Konzertkarten für New York. Er hat sein Brian-Lächeln gelächelt und … Nein, Schluss jetzt. Schluss-Schluss-Schluss. Die Schrift schimmert matt in der Sonne; und bis morgen will Madeline vergessen haben, dass sie sich fühlt, als hätte sie eben ihr Todesurteil unterschrieben.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte C
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte C

Der Unfall ist jetzt fünf Jahre her. Fünf Jahre des Zitterns, der Zweifel, des Glücks. Mary sitzt auf dem Bett und lauscht hinaus in die Stille der Vorstadt. Sie muss nur minimal dran denken, dann ist alles wieder da: der Abend, als sie das Auto genommen hat, um schnell noch Getränke zu kaufen. Der Verkehr auf der Whitby Road, hektischer, dichter als sonst. Und natürlich: die Frau, wie sie jäh auf die Fahrbahn tritt, direkt vor Marys Stoßstange. Mary ist unschuldig gewesen, die Untersuchung hat das bestätigt; kein Mensch hätte so schnell noch reagieren können, also ist sie unschuldig und die Frau tot. Elizabeth hat die Frau geheißen, ein wunderschöner Name – was Mary auch zu dem Ehemann gesagt hat, nur ein paar Tage später. Sie hat seine Türklingel gedrückt, die Tür ist aufgegangen („Hallo. Mein Name ist Mary und ich habe … ich habe Ihre Frau überfahren“); ja, und dann ist sie wiedergekommen, zu John, und hat ihm Essen gebracht, und dann ist sie wiedergekommen und hat ihm den Rasen gemäht. Zwei Jahre später waren sie verheiratet. Glücklich trotz Elizabeths Schatten. Ja, genau so war das. Und auch gestern ist Mary wieder gut drauf gewesen. Auch heute Morgen noch. – Bis sie beim Putzen in der Schublade diesen alten Brief entdeckt hat, adressiert an John: „… und darum ist es aus zwischen uns. Ich will die Scheidung! Du hörst von meinem Anwalt. – Elizabeth“. Mary sitzt auf dem Bett und lauscht auf das Klimpern seiner Schlüssel vor der Haustür, das jeden Moment zu hören sein muss. Er hat sie glauben lassen, sie habe seine große Liebe zerstört. Er hat sie für ihn kochen lassen. Und den Rasen mähen. Er hat seine Rolle gut gespielt. Und sie? Soll sie jetzt applaudieren?
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte D
Geschichte E

Geschichte D

Wieso Michelle auf dem Bett sitzt und Löcher in die Luft starrt? Ganz einfach: Der Mann, den sie liebt, ist ziemlich arm, sie aber ist sehr, sehr reich, weshalb sie immer Angst hatte, dass er sich nur des Geldes wegen in sie verliebt; und deshalb hat sie ihm verschwiegen, dass sie sehr, sehr reich ist. Er glaubt, sie sei nur eine arme Fitnesstrainerin. Toll findet er sie trotzdem. Aber letzten Monat ist eine zweite Frau in seinem Leben aufgetaucht, angeblich eine Gräfin aus Europa, und die wickelt ihn mit ihrem Geld um den Finger, weshalb Michelle vor Wut eine Affäre mit ihrem Fitnesstrainer begonnen hat. Aber jetzt ist ihr dieser Brief zugeflogen, aus Europa, in dem steht, dass die angebliche Gräfin gar keine Gräfin ist, sondern die Schwester des Fitnesstrainers, der erfahren hat, dass Michelle sehr, sehr reich ist, und sie deshalb um den Finger wickeln will. Aber gleich wird es bei ihr an der Tür klingeln, und sie wird aufstehen und überrascht feststellen, dass es ihr armer Geliebter ist, mit einem Strauß Rosen in der Hand, und er wird lächeln und … – „Cut!!“ … Wieso Mindy auf dem Bett sitzt? Ganz einfach: Sie ist Schauspielerin und spielt eine gewisse Michelle. Hier kommt auch schon der Regisseur: „Also Mindy, ernsthaft: Sie hocken da wie eingefroren. Sie müssen heulen, verdammt nochmal! Sie sind wütend!!“ Worauf Mindy aufspringt und sich die Perücke vom Kopf reißt: „Jetzt hab ich’s aber satt! Warum soll ich immer das heulende Dummchen spielen? Warum darf ich nicht mal … Wissenschaftlerin sein oder …“ – „Cut!!“ … Wieso Monica auf dem Bett saß? Ganz einfach: Sie ist eine Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt, die sich gegen ihre alberne Rolle wehrt.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte E

Geschichte E

„New York City, 7-7-1965. – Liebe Melinda, haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre Zusendung, die mich zunächst überrascht und dann ungeheuer beeindruckt hat.“ – In den letzten acht Jahren hat sie sich kaum einen Tag Urlaub genommen. Sie hat gelesen, geschrieben, nachgedacht und sich die Augen ruiniert. Die Chefs haben ihr verboten, das Labor für ein eigenes Projekt zu nutzen; daher hat sie ganze Versuchsreihen in ihrem winzigen Apartment durchgeführt. Die Apparaturen stellen ihr noch immer das Schlafzimmer voll, nur durch einen dünnen Vorhang vom übrigen Raum getrennt. Doch was soll’s? Seit letztem Monat steht ihr Konzept. Sie hat vierhundert Seiten mit Formeln, Schaubildern und Beschreibungen an den einzigen Vertrauensmann geschickt, den sie kennt: Professor Hogan, Idol ihrer Jugend, dessen signiertes Foto bis heute bei ihr vom Nachttisch grüßt. – Endlich ist die Antwort da. Der Professor sagt, er hält ihre Berechnungen für wasserdicht. Er sagt, ihre Ideen zur künstlichen Lebensmittelproduktion werden bewirken, dass es bis neunzehn-fünfundsiebzig kein einziges hungerndes Kind mehr auf der Welt gibt. „Doch leider, liebe Melinda, kann ich nicht mehr viel für Sie tun. Wie Sie wissen, bin ich schon lang im Ruhestand. Meine Kontakte zu den jüngeren Kollegen haben sich erheblich reduziert. Ich fürchte, Sie müssen selbst …“ – und genau das hat sie jetzt vor. Ermutigt durch den Brief wird sie sich an Grant wenden. Ans Patentamt. Plus die wichtigsten Fachzeitschriften. Die müssen sie endlich ernst nehmen. Die müssen einfach! Melinda richtet sich kerzengerade auf. Der erste Laborapfel, so gut wie ein echter – sie kann ihn fast schon schmecken.
i
Text: Kai Bleifuß
© Kunstmuseum Wolfsburg und Autor



Lust auf mehr? Lies dir die alternativen Geschichten durch:
Geschichte A
Geschichte B
Geschichte C
Geschichte D